"Gesichtskrebs" von Dr. Hartmann, 1948

  • Möchte Euch hier mal etwas reinkopieren, was ich enorm spannend finde, vor allem für alle Homöopathen und Homöopathie-Interessierten:



    "Gesichtskrebs"
    von Dr. Hartmann, 1948



    "...


    Bei der homöopathischen Behandlung steht in den Krebsarten, die im Gesicht vorkommen, kein Mittel höher, als Arsenicum album.
    Auch der der Allöopathie ist es in der Solut. Foleri und als Cosmisches Mittel bekannt; keins von beiden aber enthält den Arsen rein, sondern nur mit andern Mitteln gemischt und in so grosser Gabe, dass er eher Verheerung als Hebung herbeizuführen vermag.



    Es ist begreiflich, dass krebsartige Symptome im Gesicht unter den physiologischen Wirkungen von Arsen. nicht zu finden sind, denn wer wollte wohl als Prüfungsperson so lange diese Arznei einnehmen, bis er derartige Zeichen an sich wahrnähme?



    Die meisten sind uns durch zufällige Vergiftungen bekannt geworden; diese sind aber auch so characteristisch, dass wir sie unbedingt als Heil-Anzeigen benutzen können.


    Aber auch die wenigen, die uns unter den Prüfungs-Symptomen gegeben werden, sind von der Art, dass sie uns auf die eigenthümliche Natur und ihre hohe Bedeutung aufmerksam machen müssen.



    Ich erlaube mir, selbige, soweit sie Bezug auf Gesichtskrebs haben, hier zusammenzustellen.


    - Brennende Geschwulst in der Nase, mit Schmerz bei Berührung; Knollengeschwulst darin; Geschwürigkeit der Nasenlöcher, hoch oben, mit Ausfluss stinkender Jauche;


    - Geschwüre im ganzen Gesichte; warzenähnliches an der Wange; trockne, rissige Lippen, braune Streife in denselben, wie verbrannt; Bluten der Unterlippe; geschwüriger Ausschlag um die Lippen; krebsartiger mit dicker Kruste, harten, wulstigen Rändern, mit brennendem Schmerze, besonders beim Kaltwerden der Theile und speckigem Grunde an der Unterlippe; fressendes Geschwür an der Lippe, mit Schmerz Abends im Bette, mit Reissen und Beissen am Tage bei Bewegung, am ärgsten bei Berührung und an der Luft, Nachts den Schlaf störend;


    - Angefressenheit an der Seite der Zunge, vorn, mit Beissen; Zunge schwärzlich, rissig.



    Wenn nun auch Arsen. nicht für alle Fälle von Gesichtskrebs das alleinige Heilmittel ist, entweder anderer zur Unterstützung bedarf, oder durch andere in einzelnen Arten besser ersetzt wird: so ist er doch zweifelsohne da am hülfreichsten, wo die carcinomatöse Dyskrasie unverkennbar ist, und schon eine weit verbreitete Ausdehnung im Organismus erlangt hat, - In Nasen-, Zungen- und Alveolar-Krebs ist er unstreitig das mächtigste Heilmittel.



    Wäre nicht der Erfahrungssatz über die Heilkraft der Clematis gegen Beschwerden von Quecksilbermissbrauch, gegen Verhärtungen, selbst skirrhöse constatirt, ich wüsste nicht, woran ich meine Behauptung knüpfen dürfte, dass die Clematis schöne und sichere Heilkräfte in Lippenkrebs entwickle.


    Insbesondere sind es die syphilitisch-mercuriellen Geschwüre an den Lippen, die, in carcinomatöse entartet, oft Heilung durch dieses Mittel finden; auch wird es gewiss nicht ganz nutzlos in Alveolarkrebs angewendet, wenn ziehendes Zucken und brennendes Stechen in den Rändern des Geschwürs bei Berührung in der ergriffenen Stelle sich einstellt, das über die ganze Gesichtshälfte bis zum Auge und nach dem Ohre hin ausstrahlt.



    Vorzüglicher noch als Clematis ist unstreitig Aurum metall.
    In Nasen-, Lippen- und Alveolarkrebs, wenn er auf syphilitischen oder syphilitisch-mercuriellem Boden wuchert; doch ist hier ebenfalls die scrophulöse Diathese nicht ausgeschlossen.



    Ich mag nicht entscheiden, ob die reine carcinomatöse Dyskrasie allein zu Anwendung dieses Mittels auffordert, doch glaube ich, meinen Erfahrungen zufolge, behaupten zu dürfen, das Aurum nicht allemal jene Grundformen zu einem günstigen Heilerfolge erfordere.



    Das Wesen eines Carcinoms ist uns noch so fremd, dass wir nicht wissen, ob das Zustandekommen einer solchen Cachexie nicht erst der Amalgamirung verschiedener Dyskrasien durch mehre Generationen bedürfe und wer möchte dann wohl entschieden sprechen: es sei nicht eine der syphilitischen wenigstens sehr nahe stehende?


    Genug; soviel ist ausgemacht, dass Aurum ganz gewiss dann vielen anderen Arzneien voransteht, wenn der Gesichtskrebs nicht blos Weichtheile, sondern auch Knochen mit in die Zerstörung hineinzog.



    Jedenfalls ist dann aber Aurum muriaticum dem metallicum vorzuziehen, weil die Salzsäure selbst auch nicht ganz werthlos in einzelnen Branchen des Gesichtskrebses ist, besonders in Zungenkrebs, wo ich ihre Heilkraft als Wechselmittel mit Arsen, selbst kennen gelernt habe, wie Jeder aus ihren physiologischen Wirkungen auch deutlich entnehmen kann, wenn er liest: Zunge schwer und wie zu lang, dass er sie kaum heben kann, mit grosser Trockenheit im Munde und Rachen; schmerzhafte Blatter auf der Zunge, mit Brennen; tiefes Geschwür auf derselben; mit schwarzem Boden und überliegenden Rändern.



    In einem solchen Falle, wo die krebshafte Degeneration den Knochen schon in Mitleidenschaft gezogen hat, gleichviel ob Syphilis mit zugrunde liegt oder nicht, da hat der Arzt wohl zu überlegen, ob er nicht auch eine Indication für Mercur darin findet, der in diesen Leiden, besonders auch in Lippenkrebs eine gute Unterstützung mit gewähren kann, eben so Acid. nitri, auf das ich noch einmal zurückkomme, namentlich, wenn die Geschwüre stark bluten, unter Stechen und Brennen; ja selbst Asa kann unter diesen Umständen zu einem Mittel von Bedeutung werden, wenn die Geschwürränder hart, bläulich und bei Berührung empfindlich sind.



    Conium hat sich in manchen Krankheiten krebsartiger Natur, die nach Stoss oder Quetschung entstanden, schon manchmal heilsam erwiesen und darum die homöopathischen Aerzte wohl auch in Gesichtskrebs auf dasselbe aufmerksam gemacht, wenn nicht auch scrophulöse Diathese sie mit auf dasselbe hingewiesen hat; die fressenden Geschwüre im Gesicht sowohl als an den Lippen, schwärzlich aussehend, mit blutiger, stinkender Jauche, deuten eine grosse Heilkraft in dieser Art Krankheiten an.



    Welche Zeichen die homöopathischen Aerzte auf Carbo animalis, besonders in Nasenkrebs, geführt hat, weiss ich nicht, denn aus den Symptomen dieses Mittels lässt sich doch auch gar zu wenig auf irgend eine Heilkraft in Gesichtskrebs überhaupt schliessen; jedenfalls sind es nur die nutzlosen allopathischen Versuche mit thierischer Kohle und deren Beimischung zu dem Cosmi'schen Mittel, was sie dazu verleitet hat, ebenfalls einen Versuch damit zu machen. Doch will ich nicht so dreist darüber absprechen, da jede Erfahrung über seine heilsame Wirkung mir hier abgeht.



    Dagegen ist wohl Calcera cabon. aus der Zahl der hierher gehörigen Mittel nicht zu verweisen, obschon die Symptome eine grosse Analogie mit einem Krebsgeschwür im Gesicht nicht zulassen.



    Dennoch ist Calcar. ein grosses Mittel und dürfte schon darum hier nicht vernachlässigt werden, da jedes Krebsgeschwür in einer scrophulösen Disposition die meiste Nahrung mit erhält und Calcar. bekanntlich ein ausgezeichnetes Antiscrophulosum ist.



    Die Nasenpolypen, die wir von Calcar. beobachten, sind Degenerationen der Nasenschleimhaut und disponiren leicht zu Nasenkrebs, besonders wenn Dyskrasien im Körper schon vorwalten; eben so die Blüthen, Schorfe und Geschwürigkeit tief in den Nasenlöchern, nebst Geschwulst, wo dies alles die Dauer anderer vorübergehener Leiden der Art weit überschreitet; dasselbe gilt von den Leiden der Lippen.



    Näher, als die beiden zuletzt genannten Mittel, steht den erstern Silicea. Dieses im ersten Moment der Anschauung so unscheinbare Mittel, birgt in seiner Tiefe so gewaltige und unschätzbare Heilkräfte, wie sie kaum irgend einem andern, namentlich in chronischen Krankheiten, nachgerühmt werden können.



    Es ist der schönste Fund, den Hahnemann unter den Antipsorics nur je thun konnte; er erkannte mit seinem umsichtigen Geiste, mit der Schärfe seiner Beobachtungsgabe gar bald, dass in Mineralwässern die oft unbedeutende Beimischung der Kieselerde das wirksame Prinzip sei, dem die Heilung chronischer Krankheiten allein gelingen könne; sein unermüdlicher Forschergeist regte ihn zu weiterer Prüfung an und die Ergebnisse bestätigten seine Vermuthungen.



    So sehen wir uns in dem Besitze eines Mittels, für dessen Aufschließung allein wir uns zum innigsten Danke verpflichtet fühlen müssen, da wir dadurch auch auf andere Mittel der Art aufmerksam gemacht und hingeführt worden sind.



    Genug jedoch der Abschweifung; ich kehre jetzt zu der Namhaftmachung der Zeichen zurück, die uns eine mögliche Vergleichung mit carcinomatösen Leiden des Gesichts gestatten;



    schon die mancherlei Hautleiden, die wir von Silicea beobachten, geben manchen Anhaltepunkt für die Anwendung im Gesichtskrebs, z.B. die rosenartigen knolligen Flecke, die lymphatischen und eiternden Drüsen-Geschwülste, die skirrhösen Verhärtungen, die fauligen, fressenden Geschwüre, insbesondere auch nach Mercurmissbrauch mit penetrantem Geruch; die Geschwüre mit bohrendem, stechendem Schmerze und wie verborgenem Eiter; aber auch andere Zeichen geben Andeutungen, z.B. Blutschwamm in den Augen (hier collitieren aber auch Calcar., Sepia, Lycopod., Thuja), die Schorfe und inneren Geschwüre in der Nase und ganz besonders die aufgesprungene rissige Haut, die skirrhösen Verhärtungen im Gesichte und an der Oberlippe; die schründend schmerzenden Schorfe am Rande der letzteren; die schmerzhaften, schwammartigen und carcinomatösen Geschwüre an der Unterlippe.



    Sulphur haben mehrere Beobachter mit unter den heilkräftigen Arzneien, besonders gegen Lippenkrebs, genannt. Wie viel Wahres daran sein mag, lasse ich dahin gestellt sein; jedenfalls ist Sulph. ein herrliches Unterstützungsmittel bei der Kur eines Gesichtskrebses, wenn das rasch vorschreitende Uebel nicht andere intensiver greifende Arzneien nöthig macht.



    Bei Stillstand in der Besserung, selbst bei den möglichst genau gewählten Mitteln, wird eine Gabe Sulphur die Receptivität des Organismus leicht wieder anfachen und für die Aufnahme der nun zweckmäßigen Arzneien geschickt machen.



    Diess ist wohl der eigentliche und richtige Wirkungskreis von Sulphur in Gesichtskrebs, denn selbst da, wo Unterdrückung chronischer Hautausschläge Metastasen nach dem Gesicht hervorriefen und diese einen carcinomatösen Charakter annähmen, würde ich den Schwefel nicht als Specificum ansehen und ihn gleich anfangs der Cur geben, sondern immer erst nach Beschwichtigung der dringensten Krankheits-Erscheinungen.



    Ich weiss nicht, ob meine Ansicht die richtige ist, doch glaube ich selbige in Einklang mit den physiologischen Beobachtungen von Schwefel bringen zu können.



    In Nasenkrebs ist Sepia sehr zu empfehlen, besonders wenn ein heftiger Brennschmerz in den grosse Schorfe bildenden Ausschlägen geklagt wird; unter den sich immer mehr verdickenden und schnell sich ausbreitenden Schorfen sickert fortwährend eine ätzende Feuchtigkeit aus, die zu der raschen Ausbreitung des Krebsgeschwürs wesentlich beiträgt.



    Sehr bald nimmt auch hier der Gesammtorganismus mit Theil, was aus den täglich mehrmals eintretenden febrilen Erscheinungen - Hitze- und Frost-Anfälle - zu entnehmen ist. Auch ist hier das Gemüth zu berücksichtigen und als Hauptcriterium zur Anwendung von Sepia hervorzuheben die trüben Vorstellungen, die Bekümmernis um seine Gesundheit, die Zaghaftigkeit, die immer einen schnellen Puls und jagenden Athem, als ob er ihm vergehen sollte, zur Folge hat.



    Noch mache ich hier auf ein paar Mittel aufmerksam, die wohl einige Berücksichtigung verdienen, wenigstens mir von grossem Nutzen waren in hornartigen Auswüchsen im Gesichte, die grosse Neigung hatten, in bösartige Geschwüre sich umzuwandeln.



    Das erste ist Antimonium crud., das ich gegen ein förmliches Horn, dicht unter der Unterlippe, bis zur Heilung desselben anwendete; das Horn hatte die Eigenthümlichkeit, sich von 8 zu 8 Tagen immer selbst abzustossen und von Neuem zu bilden; nach dem Abstossen sah die Oberfläche des, jedesmal grösser werdenden, stumpfes roh und wie wund Fleisch aus; die Fleischpapillen waren denen der Zungenwurzel ähnlich und auf jeder einzelnen Papille sah man eine klebrige Feuchtigkeit.


    Stand der Schorf, der daraus sich bildete, länger als 8 Tage, so sickerte zwischen ihm und dem Horne die Feuchtigkeit aus und bildete das Horn in der Breite.



    Uebrigens war der Auswuchs ganz schmerzlos und nur bei einem Stoss daran etwas empfindlich und blutete dann leicht.


    Innerlich gab ich das Mittel in der 3ten Verreibung, täglich einmal; äusserlich liess ich es mit einem Pflästerchen von Butyrum antimonii bestrichen, bedecken.



    Das zweite Mittel ist Ranunculus bulbos. Es war fast ein ähnlicher hornartiger Auswuchs, wie ich eben beschrieb, hatte aber seinen Sitz an der Stirn, war jedoch empfindlich, der Kranke klagte oft über ein brennendes Jücken daran und der Schorf bildete sich schneller; nach seiner Abstossung glich der Stumpf mehr einem fressendem Geschwüre mit scharfen Rändern.



    Vergeblich wendete ich erst Antim. cr. mehrere Wochen an; bei Ranuncul., innerlich früh und Abends in der 6ten Verdünnung äusserlich mit der 1sten betupft, besserte es sich schnell und heilte binnen wenigen Wochen, ohne Zuthun eines anderen Mittel.



    Weiter oben erwähnte ich Acidum nitri und bemerkte, dass es in krebsartigen Gesichtsleiden, die einem syphilitischen oder syphilitisch-mercuriellen Boden entsprossen sind, von Nutzen sei; hier füge ich noch bei, dass ich es auch in Erdbeerartigen oder anderen Fleischgewächsen im Gesicht, die schnell sich vergrössern und ausbreiten, mit ausgezeichnetem Erfolg angewendet habe.


    Auch hier wendete ich die Arznei, innerlich in hoher, äusserlich in erster Verdünnung an.


    Nicht jedesmal war das Leiden syphilitischer Natur.


    ..."


    Quelle: Hartmann's spez. Therapie, Bd. 2, 1948

    "Tatsachen hören nicht auf zu existieren, nur weil sie ignoriert werden." (Aldous Huxley)